Wiederholt hatte ich über Rechtsfragen der Auslieferung berichtet, u. a. über die Auslieferung in die Türkei. Bereits bislang galten hierfür strenge Maßstäbe. Diese hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nun in seinem Beschluss vom 30. März 2022- 2 BvR 2069/21 – weiter verschärft:
Erweiterter Prüfungsumfang bei Flüchtlingsstatus
Der Beschwerdeführer, dem Totschlag vorgeworfen wurde, hatte das Auslieferungsbegehren als politisch motiviert bezeichnet; in Wahrheit werde er als Sympathisant der Kurdischen Arbeiterpartei PKK verfolgt. Zudem war der Beschwerdeführer zuvor (in Italien) als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt worden. Das zuständige Oberlandesgericht (OLG) hatte sich folglich mit der Frage zu befassen, ob die Anerkennung als Flüchtling einer Auslieferung zwingend entgegensteht. Dabei waren ungeklärte Fragen der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts (Asyl-Verfahrensrichtlinie) entscheidungserheblich gewesen. Dann hätte das OLG, so das BVerfG, diese Fragen dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorlegen müssen, Art. 267 Abs. 3 AEUV. Dass es das nicht getan hat, so das BVerfG weiter, stelle einen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dar. Der Verfassungsbeschwerde war daher insoweit stattzugeben und die Sache insoweit an das OLG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
Praxis der Strafverteidigung
Rechtsanwalt Dr. Martin Rademacher aus Düsseldorf schreibt in seinem Beitrag „Auslieferung – Der lange Arm, auch der Ungerechten“: „In Auslieferungsverfahren werden wir auch in Deutschland mit Staaten und Rechtssystemen konfrontiert, deren Menschenrechtsstandards tatsächlich zum Verschwinden gering sind.“ Umso erschreckender ist, dass die Rechtspraxis der Oberlandesgerichte (und Generalstaatsanwaltschaften) dem mit einem zum Teil erschreckend formalistischen Prüfungsmaßstab begegnet. Folglich muss das Bundesverfassungsgericht immer wieder korrigierend eingreifen. Lassen Sie daher auch in Ihrem Fall prüfen, ob die Auslieferungsentscheidung mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen werden sollte. Eine gleichzeitig beantragte einstweilige Anordnung verhindert, dass vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereits ausgeliefert wird. Gerne berate ich Sie zu Ihrer individuellen Situation. Rufen Sie an: 01522 8522 972 oder senden Sie eine eMail: schlei@strafverteidiger.team