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Das strafverteidiger.team (Rechtsanwalt Jens Schiminowski) hat mit einer Verfahrensrüge das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 9. Mai 2022 (30 KLs 3/22) durch den Bundesgerichtshof (BGH) aufheben lassen (BGH, Beschluss vom 8. März 2023 – 3 StR 15/23):

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=133230&pos=5&anz=886&Blank=1.pdf

Die Sache muss jetzt vollständig neu verhandelt werden.

Gegenstand und Ablauf des Verfahrens

Das Landgericht Wuppertal hatte den von einem Kollegen aus dem Großraum Aachen verteidigten Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Beleidigung sowie wegen Körperverletzung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, von denen es wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zwei Monate für vollstreckt erklärt hatte.

Noch vor der Eröffnung des Hauptverfahrens hatte der Vorsitzende der Strafkammer den Verteidiger angerufen und angefragt, ob das bereits erheblich verzögerte Verfahren durch eine Verständigung und ein Geständnis des Angeklagten abgekürzt werden könne. Die Tatvorwürfe lägen etliche Jahre zurück. Die Beweiswürdigung sei nicht unproblematisch, die Nebenklägerin „schwierig“. Aus seiner Sicht könne das Verfahren auf den Vorwurf der Vergewaltigung beschränkt und der Mandant bei einem Geständnis zu einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe verurteilt werden. Nachdem der Verteidiger den Vorschlag des Vorsitzenden mit seinem Mandanten erörtert hatte, hatte er dem Vorsitzenden mitgeteilt, sein Mandant lehne eine Verständigung ab und werde kein Geständnis ablegen.

Am ersten Hauptverhandlungstag hatte der Vorsitzende berichtet, mit den Verfahrensbeteiligten sei im Vorfeld der Verhandlung die Möglichkeit erörtert worden, das Verfahren auf den Vorwurf der Vergewaltigung zu beschränken und die weitergehenden Vorwürfe der Körperverletzung gemäß § 154 StPO einzustellen. Für den Fall, dass der Angeklagte die verbleibende Tat gestehe, sei die Möglichkeit einer „bewährungsfähigen“ Strafe erörtert worden. Der Angeklagte sei einer dahingehenden Verständigung nicht nähergetreten.

Inhalt der BGH-Entscheidung

Auf die Verfahrensrüge hat der Bundesgerichtshof das Urteil in vollem Umfang aufgehoben. Er ist der Ansicht der Revision beigetreten, die zu Beginn gemachte Mitteilung des Vorsitzenden über seine Verständigungsbemühungen genügten nicht den Anforderungen des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, weil sie nicht sämtliche offenzulegenden Umstände der Gespräche umfassten. Hierzu gehöre regelmäßig, wer an den Gesprächen teilgenommen habe, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden sei, welche Standpunkte die Gesprächsteilnehmer vertreten hätten und ob diese bei anderen Teilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen seien. Demgegenüber habe der Vorsitzende insbesondere nicht offengelegt, dass er selbst in einem nur mit dem Verteidiger geführten Telefonat die Frage nach einer Verständigung aufgeworfen und auch den konkreten Vorschlag zur Verständigung unterbreitet habe. Auf diesem Rechtsfehler beruhe das Urteil. Unabhängig davon, ob eine ordnungsgemäße Mitteilung zu einem anderen Prozessverhalten des Angeklagten geführt hätte, lasse sich das normativ geprägte Beruhen angesichts der mit der Mitteilung bezweckten Kontrolle des Verständigungsgeschehens nicht ablehnen, denn eine etwaige gesetzwidrige Absprache sei nicht sicher auszuschließen.

Bedeutung für die Verteidigungspraxis

Mit seiner Entscheidung hat der 3. Strafsenat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu fortgeschrieben, welche Einzelheiten der außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgespräche der Vorsitzende in der Verhandlung offenlegen muss. Vor allem aber hat er die verfassungsgerichtliche Vorgabe untermauert, wonach sich das Beruhen des Urteils auf einer gesetzeswidrigen Mitteilung regelmäßig nicht ausschließen lässt. Denn dieser Ursachenzusammenhang ist – über den Gesetzeswortlaut des § 337 Abs. 1 StPO hinaus – durch normative Aspekte aufgeladen. Das Beruhen des Urteils auf dem Fehler lässt sich daher nicht schon dann ausschließen, wenn feststeht, dass der Angeklagte sein Prozessverhalten nach einer ordnungsgemäßen Mitteilung nicht anders eingerichtet hätte. Vielmehr muss auch sicher feststehen, dass die fehlerhafte Mitteilung die Kontrollmöglichkeiten des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit und die Rechtsmittelgerichte nicht beeinträchtigt haben kann.

Die Entscheidung aus Karlsruhe hält die Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger eindringlich dazu an, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zu prüfen, ob der Vorsitzende außerhalb der Verhandlung geführte Verständigungsgespräche in der Sitzung ordnungsgemäß mitgeteilt hat. Denn ein ansonsten begangener Gesetzesverstoß wird regelmäßig zur Aufhebung des Urteils durch das Revisionsgericht führen. Allerdings darf es den Verfahrensfehler nur dann zur Kenntnis und zum Anlass der Urteilsaufhebung nehmen, wenn die Verteidigung ihn bereits in der Revisionsbegründung in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Weise dargelegt und gerügt hat.

Als auf Revisionen von Strafurteilen spezialisierter Rechtsanwalt und Strafverteidiger berate ich Sie gerne zu Ihrem konkreten Fall. Rufen Sie an oder schicken Sie mir eine eMail: schiminowski@strafverteidiger.team